Es ist immer schön, auf geschriebene Geschichte zurückzuschauen. Vielleicht möchtet ihr mich begleiten bei einer kleinen Rückschau auf die letzten fünf Jahre in mehreren Teilen. Ich such hierzu immer Fotos von damals aus. Was ihr hier seht, ist aus meinem ersten Outdoorshooting mit Phorus. Es ist das einzige Foto aus dem Shooting, wo ich zumindest halbwegs normal dreinschau. Ich verkneif mir da gerade das Lachen, weil der Knipsa irgendeinen Schmäh gemacht hat. Deshalb pose ich auch überhaupt nicht, der Bauch hängt raus – das beste und natürlichste Foto dieses Tages! Damals hätte ich mir nicht im Traum vorstellen können, wie die Dinge sich entwickeln würden. Jetzt, da ich meine Buchbarkeit für neue Kunden weitgehend beendet habe (Ausnahmen unter Kontakt) und das aktive Escorttreiben in die Vergangenheit rückt, verändert sich mein Blick auf die letzten Jahre. Ich kann vorausschicken, dass es ein sehr zufriedener Blick ist. Ob ich das ganze noch einmal machen würde, wenn ich neu anfangen könnte? Die Antwort lautet: Ja! Und um Marlene Dietrich zu zitieren, würde ich hinzufügen:
“Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte, würde ich die gleichen Fehler machen. Aber ein bisschen früher, damit ich mehr davon habe.”
Doch wie hat das alles eigentlich begonnen? Vorausschicken möchte ich: Jede/r Sexarbeiter/in hat seine/ihre ganz persönliche Geschichte, individuelle Motivation oder Notwendigkeit, sich dieser Tätigkeit zuzuwenden. Die Beweggründe, erotische Dienstleistungen anzubieten, sind so vielfältig, wie die Menschen, die in der Sexarbeit tätig sind. Heute will ich von meinem ganz persönlichen Anfang erzählen.
Es hat alles damit begonnen, dass ich sexuell unglücklich war in meiner langjährigen Partnerschaft. Ich war immer der Part, der initiierte, forderte und auf mäßig ausgeprägtes Interesse stieß. Menschen sind eben sehr unterschiedlich in ihrem erotischen Begehren. Als „unterversorgter“ Teil der Partnerschaft ist man immer derjenige, der sich einschränken muss, der auf die Position zurückgeworfen ist, zu bitten, der es sich lieber dreimal überlegt, ob er wieder mal einen Verführungsversuch wagt oder ob die Angst vor Zurückweisung überwiegt. Nach vielen Jahren entschieden wir schließlich, die Partnerschaft für mich nach außen zu öffnen. Die Alternative wäre Trennung gewesen, was wir jedoch beide nicht wollten. Also einigten wir uns darauf, Sexualität für mich außerhalb der Partnerschaft lebbar zu machen.
Doch sobald man sich als Paar zu dieser Vereinbarung durchgerungen hat, fängt die Arbeit erst richtig an. Es stellen sich dann Fragen der praktischen Umsetzung und vor allem auch der Sicherheit. Wie kommt man überhaupt zu Kontakten? Wie findet man Menschen für unverbindliche erotische Begegnungen? Und wenn man jemanden gefunden hat, mit dem man sich ein Treffen vorstellen könnte – wo trifft man sich? Es kam dann eine Phase, die man wohl als Dating-Hölle bezeichnen konnte. Ich erstellte mir Profile auf den gängigen „casual“ Dating Plattformen und erhielt täglich 100e Nachrichten von Männern. Die Flut an Kontaktaufnahmen war nicht zu bewältigen. Es war sogar so schlimm, dass ich nette Interessenten sofort aus dem Blick verlor, wenn ich ihnen nicht sofort antwortete, weil einige Stunden später schon wieder die nächsten 100 Nachrichten da waren, aber die dazugehörige App mich nicht weit genug in die Vergangenheit scrollen ließ, um den Interessenten wiederzufinden, der mir gefallen hätte.
Ich hatte wohl rund zehn echte Dates. Davon gab es nur einen Mann, den ich ein paar Mal traf. Von allen anderen fühlte ich mich in irgendeiner Weise unter Druck gesetzt, vereinnahmt oder verarscht. Die Männer schickten vorab etwa völlig unrealistische Bilder von sich, sodass ich mir einmal schon aus der Ferne dachte – um Gottes Willen, das soll er sein? Da kam ich mir richtig hintergangen vor. Ein anderer kam extra aus Salzburg und war dann schwer beleidigt, weil ich nicht mit ihm schlafen wollte. „Ich bin jetzt extra zwei Stunden angereist, jetzt erwarte ich aber schon, dass du mit mir ins Hotel gehst.“ Wohlgemerkt war ich da PRIVAT unterwegs, noch lange nicht als Dienstleisterin. Was konnte ich dafür, dass er zwei Stunden angereist war? Es hatte ihn ja niemand dazu gezwungen. Und jetzt erwartete er von mir, dass ich aus Höflichkeit mit ihm schlafe, einfach so? Unfassbar…
Der zweite, den ich traf, entpuppte sich auch gleich als Stalker, der es nicht fassen konnte, dass ich an keinem weiteren Treffen mit ihm interessiert war. Nachdem ich mehrere sehr ungehaltene, gekränkte Nachrichten von ihm erhalten hatte, blockte ich ihn schließlich kurzerhand. Das wollte er jedoch nicht hinnehmen. Er nahm dann mit verschiedensten Accounts auf allen Social Media Plattformen mit mir Kontakt auf und drohte, verfängliche Fotos von mir an meinen damaligen Arbeitgeber zu schicken. Es gelang mir aber, das abzustellen. Ich erkannte: Männer können sehr böse werden, wenn sie sich zurückgewiesen fühlen. Eine Frau, die sich die Frechheit herausnimmt, nein zu sagen, ist geradezu ein Affront für manche Charaktere.
Hinzu kam, dass sie sehr unter dem Druck zu stehen schienen, unbedingt zu „beeindrucken“. Alles klang so furchtbar angestrengt und mühsam. Ich dachte, was ich erwartete, war doch eigentlich ganz einfach: Nette Kontaktaufnahmen ohne Angeberei. Doch die meisten Nachrichten lauteten ungefähr so:
„Ich leite ein aufstrebendes Unternehmen, mache 5 mal die Woche Sport. Ich bin eine wahre Sexmaschine. Wenn du genauso konsequent beim Sex bist, wie ich beim Sport, dann könnt es etwas mit uns werden.“
Gähn. Den Interessenten war natürlich der eklatante Männerüberschuss auf all diesen Plattformen bewusst, also schienen sie sich gegenseitig mit Leistungsbekundungen übertreffen zu wollen, um irgendwie aus der Masse herauszustechen. Doch weil fast jeder so agierte, versanken sie durch dieses Verhalten ja erst recht in der Masse. Ich weiß nicht, ob es Frauen gibt, die von Angeberei beeindruckt sind. Mir war das total unsympathisch. Aus meiner Sicht schienen diese Männer überhaupt keinen Sinn dafür zu haben, dass eine Frau, die unverbindliche Kontakte sucht, vor allem eins braucht: Sie möchte sich wohl, sicher und willkommen fühlen. Doch die Männer, die mich da kontaktierten, schienen überhaupt keinen Wert darauf zu legen, mir ein gutes Gefühl und Freude auf ein Date zu machen. Was sie von sich gaben waren nur narzisstische Selbstüberhöhungen ohne Sinn für die Bezogenheit auf das Gegenüber. Meist ging es darum, wie toll sie doch waren, was für Checker und coole Typen. Ein für mich total abstoßendes Balzgehabe.
Einmal ging mir das alles so auf die Nerven, dass ich mehr oder weniger aus Ärger einen Text mit einem Preis dazu verfasste. Das war gar nicht so ernst gemeint, eher als Jux. Und dann veränderte sich etwas. Und zwar so rapide, als hätte ich einen Schalter umgelegt. Die Anfragen, die ich jetzt plötzlich bekam, waren nicht mehr so von bemühter Angeberei geprägt, sondern einfacher, pragmatischer. Das meiste klang auf einmal ungefähr so:
„Hallo! Ich hab dein Angebot gesehen und es gefällt mir sehr. Ich würde das gerne in Anspruch nehmen und wollte dich fragen, ob du nächste Woche Zeit für ein Date hast. Liebe Grüße!“
Wow! So ging es also auch! Die Notwendigkeit (oder wohl besser: Möglichkeit) der Bezahlung schien den Männern irgendwie den Druck zu nehmen, sich als der krasseste, coolste Typ hinstellen zu müssen. Sie hielten den Ball flacher, klangen nicht so angestrengt und waren meist einfach ganz normal höflich in ihren Anfragen.
Tja, und so kam es, dass ich irgendwann den ersten Kunden traf. Davon war ich mehr oder weniger überrumpelt. Der Mann, der mein erster Kunde sein sollte, wusste vom Schreiben schon, in welcher Gegend außerhalb Wiens ich wohnte. Eines Abends schrieb er plötzlich: „Du, ich bin in deiner Nähe, hast du Zeit für ein Treffen? Wäre in 30min da.“ Ich hatte tatsächlich zufällig Zeit, und wir chatteten ja schon eine Weile und er war mir durchaus sympathisch. Sollte ich wirklich? Ich musste schnell entscheiden. So fasste ich mir ein Herz, stieg ins Auto und fuhr zum vereinbarten Treffpunkt. Dort parkte ich so, dass ich alles überblicken konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Und da kam auch schon ein Auto, auf das die Beschreibung passte. Ein weißer Audi mit deutschem Kennzeichen, der sich auf einen großen Parkplatz stellte. Ich fuhr zu ihm, sodass wir nebeneinander zum Stehen kamen. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Er lächelte herüber zu mir. Ein Mann in seinen späten 30ern mit etwas längeren Haaren. Es schien für ihn das Selbstverständlichste der Welt zu sein, sich so zu treffen. Unkompliziert, sympathisch – passt.
Was dann kam, war eine zwar etwas abenteuerliche, aber durchaus erfrischende sexuelle Begegnung – zwischen Bäumen, und dann in einem Feld. Es machte mir Spaß. Ich genoss es, schiere männliche Geilheit zu spüren. Ohne aufwändige Verführungsrituale, ohne die Angst, abgewiesen zu werden. Das war etwas, was mir schon lange gefehlt hatte. So vergnügten wir uns miteinander, auch er kümmerte sich mit einem enthusiastischen Cunnilingus um mich, was jedoch aufgrund der räumlichen Gegebenheiten für mich zwar nett, aber nicht sonderlich befriedigend war. Aber egal, darum ging es nicht. Es ging um dieses Erlebnis im Ganzen.
Irgendwann schlenderten wir dann erschöpft zurück zu unseren Autos. In der ganzen Zeit hatte ich jedoch total darauf vergessen, dass dieses Treffen ja nun als bezahltes Date vereinbart gewesen war. Ich hatte ja die ganze Zeit mit allen möglichen Männern von verschiedensten Plattformen für gratis Dating und seit kurzer Zeit auch für bezahlte Dienstleistungen geschrieben, sodass ich spontan nicht mehr am Schirm hatte, was dieser Mann nun gleich tun würde: Er beugte sich ins Auto, holte seine Brieftasche hervor und streckte mir das vereinbarte Honorar entgegen. Ich war völlig perplex. Das war wie eine Initiation. Sollte ich das jetzt wirklich annehmen? Oder sollte ich sagen: „Ach was, das war nur ein Schmäh!“? Fast surreal wirkte die Situation auf mich. Er stand da im Lichtkegel einer Straßenlaterne in dieser Sommernacht, in seinem weißen T-Shirt, lächelte mich an. „Bitte schön, das ist für dich.“ Und so nahm ich mein erstes Honorar entgegen. Er gab mir noch ein Abschiedsbussi, wünschte mir eine gute Nacht, stieg ins Auto und fuhr fort.
Ich blieb zurück mit jenem beglückenden Gefühl, das eine sexuelle Begegnung hinterlassen kann, und mit einigen anderen Gedanken. Mir war klar: Dieser Mann würde mich nicht stalken. Dieser Mann wäre nicht beleidigt, wenn er keine Antwort von mir bekommt, denn dann sucht er sich eben eine andere. Weil: Er nimmt das Ganze nicht persönlich. Er hat sich jetzt eine unkomplizierte Dienstleistung gegönnt, die nichts mit ihm als Gesamtpersönlichkeit zu tun hat. Deshalb muss er sich auch nicht als Person zurückgewiesen fühlen, falls ich nicht mehr für ihn erreichbar bin, keine Antwort gebe oder ablehne. Und genau das war es, was ich suchte! Genau so hatte ich es mir gewünscht!
Und so kam es, dass ich immer wieder mal Inserate mit einer Honorarforderung veröffentlichte. Meine Gratis-Dating-Angebote dagegen wurden aufgrund ihrer Mühsamkeit mit der Zeit immer uninteressanter. Das war alles so 2017 herum, und ich noch an der FH St. Pölten als Researcher und Lehrende am Institut für Inklusionsforschung beschäftigt. Da war es also nun: Das vielgerühmte Doppelleben. Als Hure und Wissenschaftlerin. Aber dazu das nächste Mal mehr.
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