An interessierte Außenstehende

Sie interessieren sich für Sexarbeit aus journalistischen, wissenschaftlichen, künstlerischen oder anderen Gründen, die mit einer konkreten Escortbuchung nichts zu tun haben? Sie suchen Erfahrung und Expertise aus der Innensicht? Ich finde das gut und stelle Ihnen daher seit September 2022 eine dafür vorgesehene Kontaktmöglichkeit zur Verfügung. Ich tue dies aus zwei Gründen: Ich möchte zum Einen einen geordneten, strukturierten Kommunikationskanal zur Verfügung stellen, um die vielfältigen, nicht bewältigbaren Anfragen auf Social Media etc., wo oft schwer zu unterscheiden ist, was wie seriös ist, zu kanalisieren. Zum Anderen möchte ich diejenigen, die tatsächlich an einem fachlichen Austausch interessiert sind, oder sich Expertise einholen wollen, über meine Erfahrungen mit interessierten Außenstehenden vorwarnen. Dies soll eine Hilfestellung für Sie sein, verwertbare Auskünfte von mir zu bekommen. 

Ich bedanke mich also schon im Voraus dafür, dass Sie sich die Zeit nehmen, diesen Artikel zu lesen, bevor Sie mich kontaktieren. 

Die Sexarbeit ist für viele Studierende und KünstlerInnen ein sehr inspirierendes und wohl auch “subversives” Thema, das sie gerne bearbeiten. Auch JournalistInnen greifen das Thema gerne auf. Ich begrüße das Interesse und wertschätze auch, dass Sie MIT einer Sexarbeiterin sprechen wollen, anstatt nur ÜBER sie zu reden. Das ist sehr wichtig und wertvoll. Auf der anderen Seite möchte ich aber auch zu bedenken geben, dass wir SexarbeiterInnen sehr häufig von interessierten Außenstehenden kontaktiert werden, und diese uns in weiterer Folge – meist wohl unbeabsichtigt – mit sehr diskriminierenden Zuschreibungen konfrontieren. Das ist mitunter sehr anstrengend und zermürbend. Ich möchte Sie daher bitten, Ihren eigenen Zugang, ihre innere Haltung zu hinterfragen, bevor Sie mich mit einer Anfrage beschäftigen:

Bitte vergegenwärtigen Sie sich zuerst, dass Sie eine/r von vielen Interessierten sind. Bitte unterlassen Sie also eine paternalistische Herangehensweise an mich und erwarten Sie bitte von mir keine Dankbarkeit dafür, dass sich “endlich mal jemand für mich interessiert, ohne mich ficken zu wollen”. Ich weiß, man neigt leicht dazu, SexarbeiterInnen auf ihre Tätigkeit zu reduzieren. Doch ich kann Ihnen versichern, es gibt in meinem Leben doch auch ein paar Leute, die sich für mich interessieren, auch ohne mich zu ficken (leider, in manchen Fällen) – vielen Dank, aber keine Sorge! 🙂

Bitte denken Sie auch über folgendes nach:
Als SexarbeiterIn ist man immer wieder mit stigmatisierenden Zuschreibungen konfrontiert, und zwar auch und vor allem (!) von gebildeten Außenstehenden, die sich für sehr “tolerant” und offen für das Thema halten. Die bildungsbürgerliche Elite hat erfahrungsgemäß die größten Vorurteile. Das lässt sich kaum vermeiden, da sehr falsche gesellschaftliche Bilder über Sexarbeit und unseren Arbeitsalltag im Umlauf sind, von denen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Sie geprägt sind. Bitte machen Sie sich bewusst: Solange Sie nicht selbst Stricher, Freier, Angehörige/r einer SexarbeiterIn sind, haben Sie vermutlich keinerlei Vorwissen zum Thema. Versuchen Sie daher, mit offenen Fragestellungen auf mich zuzugehen. Damit vermeiden Sie, dass ich mich ein ums andere Mal mit vorgefertigten, falschen, diskriminierenden Zumutungen auseinandersetzen muss, was für mich sehr anstrengend ist.

Ich möchte Sie einladen, sich bewusst zu machen:
Sie nutzen meine Expertise, meine Erfahrung, mein Wissen, um IHR Projekt zu verwirklichen. Sie bekommen also eine Leistung von mir, nicht ich von Ihnen. Ich bin in den meisten Fällen bereit, dies kostenlos zu tun. Bitte bemühen Sie sich daher, mich nicht auszubeuten, indem Sie mich mit demütigenden Zuschreibungen konfrontieren, die Ihnen möglicherweise gar nicht bewusst sind. Am besten stellen Sie einen achtsamen Umgang mit mir sicher, indem Sie ein Thema aufwerfen und mich Ihnen einfach dazu erzählen lassen. Im Verlauf des Gesprächs werden für Sie ganz neue Fragestellungen auftauchen, die wir dann weiter herausschärfen.

Und damit, was ich jetzt gleich sagen werde, erschrecke ich Sie möglicherweise. Aber wenn Sie erschrocken sind, dann wissen Sie zugleich auch, dass Sie verstanden haben, warum ich diesen Artikel für Sie verfasst habe:

Ich möchte mich nicht mehr mit Fragen beschäftigen, wie: “Fühlen Sie sich manchmal schmutzig oder wertlos aufgrund Ihrer Tätigkeit?”, oder: “Wie überwinden Sie den Ekel vor männlichem Sperma?”, oder: “Stimmt es, dass man nach spätestens fünf Jahren mit der Sexarbeit aufhören sollte, weil man dann verbraucht/ausgelaugt/am Ende ist?”, oder: “Wie fühlt sich die Scheide an, wenn Sie gegen Ihren Willen penetriert werden?”, oder: “Stellen Sie alle Körperöffnungen zur Verfügung?”, oder: “Wie oft erleben Sie sexuelle Gewalt in Ihrer Arbeit? – Immer/oft/selten/nie.”, oder: “Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen in der Vergangenheit erlebten Traumata und Ihrer Sexarbeit?”, oder: “Setzen Sie außer der Sexarbeit auch noch andere selbstzerstörerische Aktivitäten?”

Mit derartigen Fragen war ich in der Vergangenheit schon konfrontiert. In all diesen Fragen stecken furchtbare, stigmatisierende Zuschreibungen und sexualitätsfeindliche Entwertungen, völlig falsche und pathologische Körperbilder, frauenfeindliche Grundeinstellungen, eine zum Himmel schreiende Normalisierung von Gewalt. Diese Fragen sind Übergriffe, die ihrerseits geeignet sind, tief zu verletzen, Traumata zu triggern. Sie machen wütend und traurig. In mühsamer Kleinstarbeit habe ich diese monströsen Bilder ein ums andere Mal dekonstruiert, mal mehr und mal weniger erfolgreich, damit jemand sein Projekt abschließen, seinen Artikel schreiben konnte. Ich habe mir viele Stunden, oft Tage, Zeit genommen, diese zutiefst demütigenden Zumutungen von innen zu zerlegen und alternative Blickrichtungen anzuregen. Immer musste ich dabei sehr auf mich selbst achten, um mich nicht persönlich gedemütigt und herabgesetzt zu fühlen. Immer musste ich mitreflektieren, dass mein Gegenüber einfach das soziale Stigma unhinterfragt verinnerlicht hat und dies keine Angriffe gegen mich sind. Das ist psychisch sehr anstrengend. Immer auf der Metaebene zu bleiben ist fast nicht möglich. 

Ich möchte Ihnen zu bedenken geben, dass die Diskriminierung, die wir Sexarbeitenden erleben, zu einem Gutteil von außen kommt. Sie kommt nicht von den Kunden. Ganz im Gegenteil. Mit meinen Kunden bespreche ich in vielen Fällen diese Zumutungen und finde bei ihnen Trost. Die Diskriminierung, die Herabwürdigung kommt sehr häufig von eben diesen interessierten Außenstehenden, die sich für aufgeklärt, wissend, tolerant und offen halten, wenn sie uns zu Diskriminierung und Herabsetzung fragen!

Bitte versuchen Sie, mir das zu ersparen. Ich gebe Ihnen gerne Auskünfte – doch am besten nutzen Sie diese, indem Sie mich erzählen lassen. Ich bin eine geübte Auskunftgeberin, ich erzähle strukturiert. Sie erfahren dadurch viel mehr, als wenn Sie mir geschlossene Fragen stellen, in denen sich nur widerspiegeln kann, was Sie bereits zu wissen glauben. Aber glauben Sie mir: Ohne Sexarbeiterin, Stricher oder Freier zu sein, wissen Sie vermutlich nichts. 


Damit Sie nun wissen, mit wem Sie es zu tun haben: Meine Expertise nährt sich aus fünf Jahren Escorttätigkeit, nachdem ich als Sozialwissenschafterin an der FH St. Pölten geforscht und gelehrt habe. Mein Zugang zur eigenen Tätigkeit und mein Interpretationsraum ist also ein stark sozialwissenschaftlich geprägter. Dies ist als Warnung an PsychologInnen zu verstehen, deren Disziplin ich für eine defizitzentrierte Schubladisierungswissenschaft halte – zwischen uns könnte es schwierig werden. 😁 Davor war ich Sozialarbeiterin in der Sucht- und Wohnunglosenhilfe in Wien. Mehrere sozialwissenschaftliche Studien in Linz, Wien und St. Pölten. Einige meiner vergangenen Tätigkeiten, Publikationen und Forschungsergebnisse finden Sie auch durch Googlen meines Klarnamens (siehe Impressum).

Vielen Dank fürs Lesen und Verstehen! 

1 Kommentar
  1. Klaus Kuhn
    Klaus Kuhn sagte:

    Liebe Thorja, hier einfach nur mal ein schönes Rest-Weihnachten! Bleib lieb und wild, kämpferisch und fröhlich, vor allem aber: Bleib gesund an Körper und Seele. Herzliche Grüße aus dem offiziell ach so braven Oberbayern. Klaus

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