Freier-Incels und verurteilte Anwälte

Seit einigen Wochen betreibe ich kalten Entzug vom Konsum der gängigen Freierforen.

Umso mehr Abstand ich gewinne, desto besser kann ich zusammenfassend zurückschauen. Ich erinnere mich, wie beschmutzt ich mich fühlte, als mir mal jemand incognito Einblick gewährte in ein Forum, das nicht öffentlich zugänglich ist, sondern in dem Freier sich verifizieren müssen. In einigen Foren geht es exakt so zu, wie Sexkaufgegner*innen es zu Recht anprangern: menschenverachtend, gewaltverharmlosend, aufhetzend. Die User geben sich gegenseitig Tips, wie sie die Sexworker bestmöglich hintergehen können, posten als Trophäen verdeckt aufgenommene Fotos, bestärken sich gegenseitig in der Anwendung von Gewalt. Das ist furchtbar und verabscheuenswürdig. Es ist absolut verständlich, wenn sich bei Außenstehenden der Eindruck erhärtet, in der Sexarbeit gehe es so zu, wie es in Freierforen beschrieben wird. Diese Erfahrung mache ich immer wieder mit Studierenden, die zu Sexarbeit forschen, zu diesem Zweck erst mal Freierforen lesen und dementsprechend erschüttert sind. Ich möchte jedoch zu bedenken geben:

1.) Freierforen repräsentieren keinen Querschnitt

Ein sehr großer Anteil der Männer hat schon mindestens einmal erotische Dienstleistungen in Anspruch genommen. Je nach Art der Fragestellung kommen Studien (ich überblicke derzeit die kolportierten Zahlen nur für Deutschland) auf 15-30% aller Männer. Man käme demnach für Deutschland auf bis zu rund 12 Mio “Freier”. Wie viele User schreiben aber in Freierforen? Einige 100, bestenfalls einige 1000? In Österreich hat man den Eindruck, dass in allen Foren dieselbe, überschaubare Handvoll derartiger Schreiberlinge aktiv ist. Liest man regelmäßig mit, hat man bald das Gefühl, sie alle persönlich zu kennen. Meist kann man den Verlauf von Freierforendiskussionen gut vorhersagen, weil man dann schon weiß, wer gerne mit welchen Themen zündelt, wer worauf wie reagiert, welche Seil- und Feindschaften es unter den Usern gibt. Die meisten echten Kunden jedoch kennen keine Freierforen. Als ich vor vielen Jahren selbst noch in einem Forum sehr aktiv war, versuchte ich sogar manchmal, meine Kunden darauf hinzuweisen und sie zu ermutigen, mitzuschreiben. Es war jedoch so gut wie jedem zu blöd, sich zu registrieren oder gar längerfristig aktiv zu bleiben. 

2.) Phantasiegeschichten

Es ist nicht nachvollziehbar, ob die Dinge, die diese Typen von sich geben, überhaupt jemals so oder ähnlich stattgefunden haben. Vieles entspringt dem Reich der Phantasie und dient der Angeberei vor den “Mitfickern”. Das hat sich mir eindrucksvoll bestätigt, als ich mitbekam, wie ein betagter und körperlich schwer beeinträchtigter User in einem Forum wegen der Darstellung von Gewalt gesperrt worden war: Ich kannte ihn persönlich und wusste, dass sich die Dinge nicht zugetragen haben konnten, wie er sie dargestellt hatte – weil ihm die körperlichen Voraussetzungen dazu fehlten. Tatsächlich ist es so, dass sich bei Menschen, die man im Real Life gut kennt und eigentlich mag, im Netz oft Abgründe auftun und man sich nur erschüttert fragt: Hä, was gibst du da von dir? 

3.) INCELS

Viele Freierforen sind Magnete für Incels: Dies ist ein Kofferwort für “involuntary celibates”, unfreiwillig Zölibatäre, quasi. Diese Männer zeichnen sich durch ein verschwörerisches Weltbild aus, in welchem Frauen die eigentlich Herrschenden seien und Männer durch die Verweigerung von Sexualität und Liebe erniedrigten und ausbeuteten. Nach Incel-Ideologie haben Männer jedoch ein naturgegebenes Recht auf eine Vormachtstellung und auf Sexualität. Incels bestärken sich gegenseitig in ihrem Selbstmitleid darüber, dass sie die eigentlichen Opfer der Frauen sind, die ihnen diese Vormacht streitig machen. In Teilen billigen sie deshalb auch Gewalt gegen Frauen, vor allem sexuelle Gewalt. Sexarbeiterinnen sind, folgt man der Incel-Logik weiter, die schiere Manifestation der Männerunterdrückung: Männern wird demnach nicht nur der Zugang zum Sex verwehrt, der ihnen doch zustehe, sondern sie werden auch noch ökonomisch ausgebeutet, indem sie bezahlen müssen.

Freierforen dienen gerne dem Schwanzlängenvergleich dieser frustrierten Männer, die wütend darüber sind, dass sich im Leben abseits des Paysex Frauen für sie nicht interessieren – weder sexuell, noch romantisch. Aber anstatt sich einfach darüber zu freuen, dass es Sexdienstleistungen gibt, die sie unkompliziert in Anspruch nehmen könnten, fühlen sie sich von der Notwendigkeit der Bezahlung erst recht herabgewürdigt. Sie bestätigen sich in den Foren dann gegenseitig in ihrer Wut, dass sie für Sex zahlen MÜSSEN. Jedes Honorar ist dann zu viel, die Leistung grundsätzlich zu wenig, und wenn das Honorar ein Spottpreis ist, dann ist die Betreffende eine “billige Nutte, die keine andere Behandlung verdient hat”. Ich glaube, dass Freiern vom Schlag der Incels ein Vergütungsverbot für Sex sogar sehr recht wäre. Manche Freierforen sind also eher als Incel-Foren zu lesen. Wer sich diesen Vergleich mal anschauen mag (und einen guten Magen hat) google Incel-Foren. Klickt man dort beliebig irgendwo hin, könnte man ob des verschwörerischen und menschenverachtenden Tonfalls oft meinen, man befinde sich in einem Freierforum.

Wer sich für die Incelforschung interessiert, findet hier einen ganz guten Einstieg: NDR – Die Zerrwelt der Frauenhasser.

…und hier im Interview mit Susanne Kaiser einen Überblick: Die Stimmung in diesen Foren ist düster.

Doch so sehr man angesichts der Schilderungen in diesen Publikationen auch die Stimmung der Freierforen wiedererkennt, so sehr es angebracht ist, besorgt zu sein ob des Erstarkens dieser monströsen Ideologie, und so sehr natürlich die Vernetzungsmöglichkeiten des Internets der Incel-Verschwörungstheorie Aufschwung verleihen: Die Mehrheit der Männer sind keine Incels. Aber ein großer Anteil aller Männer war schon mal Freier. 

4.) Menschenverachtung ist nicht auf Freierforen beschränkt

Nicht nur in Freierforen geht es menschenverachtend zu, sondern mitunter auch in Sexforen, die nichts mit bezahlten Dienstleistungen zu tun haben. Als etwa das Thema Stealthing (unabgesprochenes Abziehen des Kondoms in hintergehender Absicht) mediales Aufsehen erregte, wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass es Foren gibt, in denen Männer sich gegenseitig Tips dafür geben. Das sind/waren allesamt “normale” Foren oder Social-Media-Plattformen, in denen Männer hinter dem Schutz anonymer Nicknames damit prahlen, wie sie beim Sex unbemerkt das Kondom abziehen und die Frauen in weiterer Folge damit beschämen, dass diese wohl zu “ausgezaht” seien, wenn sie das nicht spüren – mit dem leisen Unterton, dass es sonst wohl von den Frauen gewollt sein muss. Wenn eine Frau demnach nicht protestiert beim (wohlgemerkt verheimlichten) Abziehen des Kondoms, will sie es also selbst, oder sie ist zu “ausgezaht”, “verbraucht”, und was man sonst noch alles an toxischen Körperbildern vom Stapel lassen kann. 

Das ist ein Ausdruck von Verachtung, Hass, ein sich Aufspielen zu demjenigen, der einfach über andere bestimmt. Male Supremacy at its best. Doch dies hat nichts damit zu tun, ob Geld den Besitzer wechselt. Es hat in erster Linie etwas mit unseren Geschlechterverhältnissen zu tun, dass es Männer gibt, für die diese Art des Hintergehens und der Grenzüberschreitung einen Reiz darstellt. Es ist wieder dieses Trophäensammeln: “Sie hat es nicht gewusst, ich war in irgendeiner Weise in einer Machtposition, ich habe mich durchgesetzt und sie hat es nicht mal bemerkt – und jetzt krieg ich Schulterklopfer von meinen Kollegen”. Das ist sehr unreif und unwürdig, richtig. Aber es hat nichts mit Sexarbeit zu tun und beschränkt sich deshalb nicht auf Freierforen. Frauen- und somit Menschenverachtung ist ein viel tiefersitzendes Problem. 

Das Toxische an den Freierforen

Es gibt diesen feinen Unterschied: In Foren, in denen gut moderiert wird, hält sich auch der Umgangston in Grenzen. Wo Frauen mitschreiben, ebenso. Das ist in allgemeinen Sexforen mit hoher Frauenbeteiligung gut zu sehen, denn das wird den Incels schnell zu mühsam. Wohlgemerkt schreiben die Frauen dort ebenso anonym wie die Männer, haben also die dieselben Partizipationsvoraussetzungen. In Freierforen gibt es dagegen kaum Beteiligung von Sexworkern, da diese ja nicht anonym schreiben, sondern meist erkennbar in ihrer Marktidentität. Somit haben sie gegenüber allen anderen anonymen Usern den entscheidenden Nachteil, dass sie sofort persönlich angegriffen und diffamiert werden können. Jede Sexarbeiterin, die sich in einem Freierforum kritisch einbringt, bekommt zu hören, was an ihr alles hässlich und abstoßend sei, auch wenn sie und ihr Angebot gar nicht Thema der Diskussion waren. Freierforen sind also kein sicheres digitales Umfeld für Sexworker. Hinzu kommt, dass sie mitunter auch aktiv von Moderationsseite vom Mitschreiben ausgeschlossen werden, da ihnen jede Aktivität als “Werbung” ausgelegt wird. Die meisten Foren, auch jene, die sich als sexworkerfreundlich beschreiben, haben strenge Regeln, unter welchen Umständen Sexworker sich überhaupt äußern DÜRFEN (“nur allgemeine Aussagen, nur kurze Entgegnungen, Nennung von Öffnungszeiten” etc.). Es ist also sehr schwer bis unmöglich, in Freierforen eine alternative Sichtweise einzubringen. 

Aus diesem Grunde hab ich damals, als ich noch forenaktiv war (das war so 2018/19 herum), ein Subforum in einem bekannten Freierforum gekauft, um dort unbehelligt schreiben zu können. Dies hatte den entscheidenden Vorteil, dass ich mir kein Blatt vor den Mund nehmen musste, und dass ich schließlich, nachdem mir die ewige Wiederholung der ewig selben Themen irgendwann zu blöd geworden war, alles wieder löschen konnte. Daher gibt’s von mir und über mich kaum Beiträge in Freierforen: Es war irgendwann alles (mehrfach) gesagt – und dann hab ich es gelöscht. 😁 War aber irgendwie auch eine geile Zeit. Aber auch nur deshalb, weil ich immer wusste, ich kann mein eigenes Subforum weitgehend selbst administrieren und im Notfall an die Wand fahren. Ich habe also selbst für meine digitale Sicherheit in diesem Medium gesorgt und auch sichergestellt, dass ich keine unbeabsichtigten Spuren hinterlasse – was natürlich auch eine Stange Geld gekostet hat. Das Subforum hat mich im Monat so viel gekostet, wie meine erste eigene Wohnung. 

Radikalisierung der Male Supremacy

Doch worauf ich hinauswill: Aus den genannten Gründen schreiben die wenigen Sexworker, die sporadisch in Freierforen aktiv werden, meist nicht lange darin mit. Somit sind Freierforen mehr als andere Foren gefährdet, zu dieser toxischen, incel-artigen, verschwörerischen, schulterklopfenden, hegemonial-männlichen Maulheldenpartie zu werden, die extreme Intimitäten bis hin zu Gewaltverherrlichung an die Öffentlichkeit zerrt. Ein Korrektiv anderer Sichtweisen fehlt ihnen per definitionem. In der sozialwissenschaftlichen Radikalisierungsforschung wird genau darauf hingewiesen: Der Verlust von Komplexität durch Ausschluss anderer, auch moderater Sichtweisen, führt zu einer Zuspitzung des Diskurses, die in Radikalisierung münden kann. Es wäre sehr interessant, sich Freierforen mal aus Perspektive der Radikalisierungsforschung anzusehen. Also, all ihr lieben Student*innen, die ihr die Sexarbeit immer für so ein cooles, subversives Thema haltet und uns regelmäßig mit Forschungsanfragen traktiert: Das wäre Stoff für eine Masterthese, auf geht’s! 👌 Ich unterstütze ein solches Forschungsprojekt mit einem Privatstipendium in Höhe von 5% meines monatlichen Escorteinkommens. Bin aber nur noch für Stammkunden aktiv – erwartet euch also nicht zu viel. 

Auch in der sexarbeitspositiven Community werden Freierforen kontrovers diskutiert. Manche fordern bessere Moderation, manche Verbote. Meine persönliche Meinung hierzu ist, dass man Symptome von Menschenverachtung nicht verbieten kann. Mit Verboten verlagern sich diese Symptome nur in offshore gehostete Foren, die sich an keinerlei Recht halten müssen. In diesen Foren geht es mit Abstand am schlimmsten zu, und es gibt keinerlei Handhabe mehr, gewaltverherrlichende Postings zu löschen, kein Impressum, das man kontaktieren kann, keine erreichbare Administration.

Verbote, bestimmte Inhalte öffentlich zu posten, können außerdem auch leicht umgangen werden, indem die User sich einloggen müssen und die Inhalte dann nur noch für eingeloggte User sichtbar sind. Ich persönlich hege die Befürchtung, dass die Radikalisierung unter diesen Umständen noch schneller voranschreitet, da die User sich dann ganz “unter sich” fühlen. Auch wenn theoretisch ab einer gewissen User- oder Zugriffszahl wieder eine “Öffentlichkeit” besteht und das Gesetz wieder greifen müsste – wer prüft das, wer judiziert das aus? Wer tut sich das an? 

Folgen der Stigmatisierung auf beiden Seiten

Aus meiner Sicht wäre die Schaffung neuer Rechtsgrundlagen auch gar nicht notwendig, da die einschlägigen Gesetze in Österreich ja bereits existieren, um menschenverachtenden und gewaltverharmlosenden Postings in Freierforen den Garaus zu machen. Es wird sich nur einfach nicht daran gehalten: Weil die Moderation der schieren Menge an Postings nicht nachkommt, und vor allem, weil Sexworker sich kaum dagegen zur Wehr setzen. Es wird eher zähneknirschend geduldet.

Und das hat seinen Grund wiederum in der Stigmatisierung: Mit der Moderation Kontakt aufnehmen, sich selbst und die eigene Sexarbeit thematisieren, den Inhalt grauenhafter Postings noch mal extra wiederholen müssen, mit der Gefahr, süffisant abgewiesen, ausgelacht oder komplett ignoriert zu werden? Wer tut sich das an? Auf einer bekannten Anzeigenplattform gibt es derzeit einige “Erfahrungsberichte”, von denen man leider sagen muss, dass sie Vergewaltigungen beschreiben. Hinweise an den Seitenbetreiber verhallen im Nirvana. Anstatt sich diese Frustration anzutun, warten die Betroffenen daher lieber, dass die grausigen Postings in der Versenkung verschwinden, weil eh jeden Tag Tonnen von neuen Postings draufgekippt werden. 

Die Stigmatisierung der Sexarbeit führt auch dazu, dass moderat gestimmte Männer, die den Großteil unserer Kunden darstellen, sich lieber in Schweigen hüllen. Wie schier unfassbar groß die Stigmatisierung der Sexarbeit in AT ist, hat sich wieder eindrucksvoll gezeigt, als der OGH kürzlich einen Anwalt zu einer Strafzahlung verurteilte, weil dieser sich öffentlich mit Sexarbeiterinnen gezeigt hatte. Der Standard berichtete hier. Von welchem Menschenschlag der Typ ist, der als Möchtegern-C-Promi Sexarbeiterinnen für seine eigene Mediengeilheit instrumentalisiert, genauso wie sein Hawara, ein bekannter Bordellbetreiber, der sich stets als beschützender Patriarch mit zwei “Hasen” an seiner Seite zeigt, möge jeder selbst beurteilen. Und ob er ein Rassist ist, wenn er manchen Ethnien mehr und manchen weniger Attraktivität zuschreibt und moniert, dass es “derzeit keine Klassefrauen” gebe, weil bestimmte von ihm bevorzugte Ethnien auf dem Markt unterrepräsentiert seien, ebenso. Was für ein Würschtel muss man sein, wenn man in der heutigen Zeit öffentlich so argumentiert?

Aber dafür, ein Würschtel zu sein, wurde er nicht zu einer Strafzahlung verurteilt, sondern fürs schlichte Sich-Zeigen mit Sexarbeiterinnen. Und das ist ein noch viel größerer Skandal und einer zeitgemäßen Rechtsprechung unwürdig. Sogar im meist nicht sonderlich sexarbeitsfreundlichen Standardforum war die Stimmung eindeutig. 

Kein Wunder also, dass jene Männer, die angenehme und gute Kunden sind, lieber nichts sagen, lieber nicht auffallen, genauso wie unsere Kundinnen. Es ist allerhöchste Zeit, endlich massiv für eine Entstigmatisierung einzutreten. Nur dann, wenn es nicht mehr so was “Arges” ist, Sexdienstleistungen in Anspruch zu nehmen, kann man auch breiter darüber sprechen und wird der Diskurs bunter und vielfältiger. Das wäre die Voraussetzung dafür, dass auch moderat Gestimmte und Frauen, die schließlich auch als Kundinnen existieren, sich zu Wort melden, sich einmischen, einfach ganz selbstverständlich da sind, um der hegemonial-männlichen, incelartigen Radikalisierung in Freierforen entgegenzuwirken, um die radikalen Ansichten in Schach zu halten. Weniger Radikalisierung und weniger Incels bedeuten auch weniger persönliche Angriffe gegen identifizierbare, mitschreibende Frauen, wodurch die einschlägigen Foren auch für sie wieder ein sichereres Umfeld werden können.

Öffnung oder Verbot?

Aus meiner ganz persönlichen Sicht ist also nicht ein Verbot die Lösung, sondern ganz im Gegenteil eine Öffnung des Themas für ein viel breiteres Spektrum an Stimmen, die den Querschnitt der Kunden bzw. aller Beteiligten viel besser repräsentieren. Dazu würde etwa auch gehören, Sexworkern die Teilnahme an Foren in einer für sie sicheren Art und Weise zu ermöglichen, sie dazu zu ermutigen, beispielsweise mit der Einführung zusätzlicher Funktionen wie effektives Blocken unangenehmer User, unbeschränkte Administrationsrechte an den eigenen Beiträgen, mehr und effektivere Moderation, strengere Sanktionen bei persönlichen Untergriffen und generell der Möglichkeit eines nicht-geschäftlichen Zweit-Accounts, um ebenso anonym unter dem Radar partizipieren zu können wie alle anderen User. 

Umso mehr wir jedoch im Stigma bleiben oder gar ins Verbot gehen, umso “geheimer” und damit verschwörerischer wird es, befürchte ich. Man schließt damit ausgleichende, alternative Stimmen und Sichtweisen komplett aus, bis hin zur Radikalisierung ála Incel-Offshore-Forum. Nicht AO-, sondern IO-Forum, quasi. Das ist meine persönliche Ansicht, die natürlich von meiner generellen Weltanschauung geprägt ist. Ich kann aber auch durchaus nachvollziehen, dass andere meinen, ein klares Verbot dieser Foren oder bestimmter Arten von Postings sei wichtig, um deren generelle Unerwünschtheit zu zeigen, quasi als Signal. Persönlich bin ich jedoch der Ansicht, dass dies wenig bringt und nur zu verschwörerischer Umgehung oder gar noch schlimmeren Phänomenen führt. 

Das gesellschaftliche Klima als Nährboden für Diskurse

All das ist auch nicht isoliert zu betrachten, sondern sollte eingebettet in ein gesellschaftliches Klima gesehen werden, welches bestimmte Diskurse fördert, andere dagegen eher erschwert. Und dieses gesellschaftliche Klima ist natürlich auch von den hier herrschenden Gesetzen mitgeprägt. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Stigma kills. Ich sehe daher den Gesetzgeber in der Verantwortung, einen Prozess zumindest des Nachdenkens einzuleiten, indem all die diskriminierenden Gesetze, die das Hurenstigma affirmieren, endlich restlos abgeschafft werden. Die Regulierungseskalation, die Helga Amesberger in ihrer Forschung so deutlich herausgearbeitet hat, ist für das Hurenstigma Symptom und Grundlage zugleich.

Hier eine in wenigen Minuten bewältigbare Publikation zu diesem Thema von ihr: Realitäten der Sexarbeit und der feministische Streit darum.

Und hier ein kurzes Interview mit Helga Amesberger: Die Debatte über Sexarbeit ist eine moralische.

Unter der Regulierungseskalation versteht man demnach einen Zirkelschluss, bzw. eine Art sich selbst verstärkende Spirale der immer selben falschen Schlussfolgerungen: Regeln werden aufgestellt, die weltfremd sind und daher nicht eingehalten werden – deshalb will man als Reaktion noch strenger regulieren, verbieten und kontrollieren – dadurch entstehen jedoch logischerweise noch mehr Regeln, die nicht eingehalten werden – als Reaktion darauf wird wieder strenger reguliert, verboten und abartig bis ins Intimste kontrolliert, sodass es schon ans Perverse grenzt (erst nach massiver Intervention der politisch für Sexarbeit aktiven NGOs wurde etwa erst in jüngster Vergangenheit abgestellt, dass den Frauen in Bordellen auf dem Verrichtungsbett von Ärzten Scheidenabstriche genommen werden, was aufgrund des Verbots von Wanderpraxen in Österreich nie hätte stattfinden dürfen – nur ein Beispiel von vielen). Das Ergebnis ist ein unüberschaubarer Wust an zum Teil kleinteiligsten Regelungen, sodass man als Sexworker eigentlich fast immer irgendwas falsch macht, je nachdem, wo man wen wie trifft oder das Treffen anbahnt.

Das geht so weit, dass man im Prinzip immer davon ausgehen muss, von jemandem erpressbar zu sein. Irgendwas wird schon wieder nicht gepasst haben: Im falschen Bundesland den falschen Ort für ein Treffen ausgesucht? In der falschen Region nicht auf die nur hier geltende Abstandsregel zu öffentlichen Einrichtungen geachtet? Sich “International Escort” genannt oder eine nicht-österreichische Impressumsadresse angegeben, und damit den Verdacht des grenzüberschreitenden Menschenhandels auf sich gezogen? Tja, und schon hat man den Scherm auf. 

“Mit denen kann man es ja machen”

Dieser ganze Wahnsinn gehört dringend abgeschafft. Er ist weltfremd, nicht durchsetzbar und bringt diejenigen, die er schützen soll, regelmäßig in die Gefahr von Erpressung und Polizeiverfolgung. Vor allem aber erzeugt er eine Stimmung, die man so umschreiben könnte: “Mit denen kann man es ja machen: Denen kann man Pflichten auferlegen, die im Rest der zivilisierten Welt bereits als menschenrechtsverletzend abgeschafft sind”.

Wenn der Staat schon dieses Signal setzt, dann ist es kein Wunder, dass dies weiterwirkt bis hin zur persönlichen Einstellung einzelner Incels gegenüber Sexarbeitenden in Freierforen. Sich davon endlich mal zu verabschieden, wäre ein wichtiger erster Schritt, ein Signal, ein Statement, wovon die Stimmung, das gesellschaftliche Klima sich zugunsten der Sexarbeit (und auch zugunsten ihrer Kunden) ändern könnte. Incels fühlen sich in einem solchen Klima nicht wohl. Und das kann für dem Umgangston in Foren nur förderlich sein. 

INDEPENDENT ESCORT WIEN

…ist die einzigartige Begleitung für intelligente Menschen. ❤️ 

3 Kommentare
  1. Klaus Kuhn
    Klaus Kuhn sagte:

    Liebe Thorja, ich bin fast ganz Deiner Meinung. Ich habe mich in Freierforen umgetan und mich dann angewidert abgewendet. Die Sprache dort widerspricht nicht nur meinem Bild von Frauen, sondern auch allgemein meinem Menschenbild. Als einer, der täglich mit Sprache arbeitet, fiel mir deine Formulierung von “gemäßigten” Männern auf. Das halte ich für etwas problematisch, weil die Unterscheidung “gemäßigt” hier, “radikal” oder “fundamentalistisch” dort, politisch besetzt ist. Die Diskussion über die Sache aber gehört geführt.

  2. Thorja von Thardor
    Thorja von Thardor sagte:

    Ich bin mir nicht sicher, ob ich weiß, was du meinst. Wenn der Begriff “gemäßigt” politisch besetzt ist, könnte seine Verwendung in diesem Kontext dann nicht auch zum Ausdruck bringen, dass man die Radikalisierung der menschenverachtenden Einstellungen in Freierforen genauso ernst nimmt, wie in dem Kontext, in dem der Begriff bereits “besetzt” ist? Wie würdest du das, was ich damit meine und was ja mit dem Begriff “gemäßigt” (aus meiner Sicht) intuitiv verständlich ist, alternativ ausdrücken? Moderat gestimmt, nicht ganz so von Hass zerfressen, etc?

  3. Sine Nomeine
    Sine Nomeine sagte:

    Genau darum geht es: ein Möchtegern-C-Promi der Sexarbeiterinnen für seine eigene Mediengeilheit instrumentalisiert. Es ging dabei (neben “einer diskriminierenden Herabsetzung von Frauen vornehmlich aufgrund deren äußeren Erscheinungsbildes”) nicht etwa um den “Besuch eines Gastronomiebetriebes” (und dort verwirklichtes privates Sexualleben), sondern das Ausbreiten des eigenen Sexuallebens in der Öffentlichkeit, sich öffentlich in Unterwäsche zu zeigen und bei der Vornahme simulierter Kopulationsbewegungen filmen zu lassen und abfällig über die Qualität diverser Sexarbeiterinnen zu äußern. Die Anwaltschaft ist großteils der Meinung, dass derartiges Verhalten auch heute noch gegen “Ehre und Ansehen des Standes” verstößt. Muss man als Nicht-Anwalt nicht so sehen, aber mit der Akzeptanz gewerblicher Sexualarbeit hat das dann nur mehr am Rande zu tun.

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