Sicherheitsgarantien und Victim Blaming

Wie die Krone hier berichtet, stellt die Polizei in Wien derzeit die Ausstellung von Strafen bei der Kontrolle von Prostitutionslokalen ein. Für die diesbezüglich weniger vorgebildeten Leser: Das Prostitutionsgesetz ist ein von Branchenunkenntnis getragenes Wirrwarr an Regelungen. Fernab der lebensweltlichen Realität öffnet es polizeilicher und generell behördlicher Schikane Tür und Tor, und wird in vielen maßgeblichen Details von NGOs als menschenrechtsverletzend eingestuft.

Die aktuelle Ausgestaltung der Gesetze zur Regulierung der Sexarbeit verunmöglicht im Großteil Österreichs Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. So ist Escort in den meisten (!) Bundesländern verboten. Man MUSS dort in Bordellen arbeiten, die damit als einzige Gatekeeper für legale Arbeit in die Position kommen, ihre Macht zu missbrauchen, indem sie Preise und Services festlegen (womit im übrigen der Tatbestand der Zuhälterei erfüllt ist). Wer sich nicht dran hält, kann nicht arbeiten.

Ganz zu schweigen von der nur noch in Österreich gängigen Praxis der vaginalen Zwangsuntersuchung für Sexarbeitende im 6-Wochen-Intervall, die allein den Sexarbeitenden die gesamte Verantwortung für die sexuelle Gesundheit in die Schuhe schiebt und bei Freiern vermehrte Nachfrage nach ungeschütztem Sex fördert. Im Rest Europas und auch sonst fast in der ganzen Welt gibt es diese Zwangsuntersuchung nicht mehr. Das ist ein menschenverachtendes Relikt aus grauer Vorzeit. Die Fragen, die sich dazu stellen: Wenn es um meine Gesundheit geht, warum ist es dann gerade ein Polizist, der kontrolliert, ob ich mich regelmäßig untersuchen lasse? Auf diesen Einwand folgt meist die Entgegnung, es ginge ja in erster Linie um Menschenhandel. Aha. Und warum muss man mir dann in die Scheide schauen? Was glaubt man in meiner Vagina für Indizien für oder gegen Menschenhandel zu finden? 🙄 Liegt dort ein Reisepass herum, oder sieht man da drin die Route, durch die ich mich gevögelt habe? Fadenscheinig, sehr fadenscheinig das Ganze. 

Die gesundheitlichen Nachteile der Praxis der Zwangsuntersuchung sind auch hinlänglich bekannt, diesbezügliche Forschungsergebnisse sind sogar auf der Website des Bundeskanzleramts verlinkt:

https://www.bundeskanzleramt.gv.at/agenda/frauen-und-gleichstellung/prostitution.html

Man findet unter dem Link (ganz unten) eine Gesundheitsfolgenabschätzung aus 2019, die klar zu dem Ergebnis kommt, dass die Zwangsuntersuchung NICHT gesundheitsförderlich ist, weder für Freier noch für DienstleisterInnen. Aber: Egal, sachliche Argumente haben im Regulierungswahn zur Sexarbeit noch nie jemanden interessiert. Wird einfach weiter gemacht. Weil mochma scho imma so. 

Aber darauf will ich in erster Linie gar nicht hinaus, weil eh ein alter Hut. Die Zwangsuntersuchung hat abgeschafft zu werden, und das wird auch in AT früher oder später der Fall sein. Vielleicht ist das Aufgeben der Kontrollen durch die Polizei ein Hinweis darauf, dass  diesbezüglich Bewegung in die Sache kommt. Aber was mir gerade den Kragen platzen lässt, ist was anderes. Nämlich die Stimmungsmache gegen eigenverantwortliche Sexarbeit. In einer unsagbar dümmlichen Nachahmung und Festigung des unreflektierten Alltagswissens vom “sicheren Bordell” und abseits jeder Recherche heißt es im Artikel: “…die sichere Umgebung, die ein offizielles Prostitutionslokal GARANTIERT”. 

Diese Aussage ist auf mehreren Ebenen höchst problematisch. Wer meint, dass man Sicherheit für Frauen garantieren könne, hat das Wesen der Gewalt grundsätzlich nicht verstanden. Gewalt hält sich nicht an Regeln, lässt sich nicht regulieren. Gewalt IST situative, akute Grenzüberschreitung, die aus heiterem Himmel auf die Betroffenen hereinbricht, und dagegen hilft auch ein Bordellzimmer nichts. Nur selten sitzt man gerade direkt neben dem Alarmknopf und hat eine Hand frei, um den Security zu rufen. Von den Securities geht in vielen Fällen selbst Gefahr in Form von Belästigung und kleineren und größeren Übergriffigkeiten aus, wie ich aus eigener Erfahrung in Nichtsexarbeitsbereichen und aus meiner beruflichen Vergangenheit als Sozialarbeiterin nur allzu gut weiß.

An dieser Stelle ein Zitat aus einem Gespräch mit einer Sexarbeiterin, die Bordell- und Gewalterfahrung hat: 

“Der (Gewalttäter, Anm.) hört den Alarm und erwürgt dich vielleicht noch, während der gelangweilte Typ in der Sprechanlage sagt: Haben Sie einen Notfall?”

Besser kann man die Furcht vor totaler Eskalation, die man in Gewaltsituationen verspürt, nicht auf den Punkt bringen. 

Äußerst bedenklich ist aber auch, dass mit der vermeintlichen Sicherheitsgarantie eine Verhöhnung von allen Gewaltbetroffenen, ganz unabhängig davon wo sie arbeiten, stattfindet. Nicht nur Verhöhnung, sondern auch massives Victim Blaming:

Denn wenn Sicherheit angeblich garantiert ist, und Gewalt findet trotzdem statt – was bedeutet das dann? Dann sind ja wohl die Betroffenen selbst schuld. “Naja, hast halt den Alarmknopf zu spät gedrückt. Nicht aufmerksam genug gewesen. Warum hast du den überhaupt eingelassen? Musst halt in der Nähe des Alarmknopfs bleiben. 🤷‍♀️ WIR haben schließlich ALLES getan, um deine Sicherheit zu GARANTIEREN. Der Rest liegt an dir.” 

Und Sexarbeiterinnen, die nicht in diesen angeblichen Garantiebereichen arbeiten? Na mit denen braucht man dann ja überhaupt keine Solidarität mehr zu haben, wenn sie überfallen und vergewaltigt werden. “Naja, hätte sie halt in einem sicheren Bordell gearbeitet. Selbst Schuld.” Vielleicht ist sie ja gar eine “Illegale” ohne Deckel, na die braucht sich ja dann gar nicht wundern. Das ist Victim Blaming wie es im Buche steht. Und es ist so eine Heuchelei, eine Augenauswischerei. Alle können dann Verständnis heucheln und so tun, als ob ihnen unsere Sicherheit wichtig wäre. In Wahrheit wird den Sexarbeitenden die Gesamtverantwortung umgehängt und die eigene weiße Weste abgeputzt.

Und immer sollen sich die Betroffenen verbiegen, anstatt auf der Täterseite zu intervenieren. Was im allgemeinen Diskurs zur genderzentrierten Gewalt schon thematisiert wird, etwa mit den Initiativen “Educate your sons” statt Victim Blaming wird im Bereich der Sexarbeit noch völlig ausgeblendet. An den Betroffenen wird herumgedoktert, die sollen Alarmbänder an den Handgelenken tragen (wo es mir als Sozialarbeiterin mit Deeskalationsausbildung alle Haare aufstellt), die sollen sich einkasteln in Bordellzimmern, kriegen immer mehr Regeln aufgebrummt, die sie zu ihrem “Schutz” einhalten sollen. Funfact nebenbei: bei deren Nichteinhaltung werden dann die zu Schützenden vom Staat gestraft😆. 

Wenn von Sicherheitgarantien die Rede ist, dann wird damit außerdem noch etwas äußerst Bedenkliches suggeriert: Nämlich dass Gewalt in der Sexarbeit etwas normales wäre. Etwas so normales, dass man es sogar regulieren und abwenden kann. Die Normalisierung von Gewalt ist sehr gefährlich, da sie uns in Bausch und Bogen zu Opfern macht. Aber: Gewalt ist NICHT normal! Deswegen kann man ihre Abwesenheit auch nicht “garantieren”. Man kann auch im öffentlichen Raum keine Gewaltfreiheit garantieren. Oder in der Familie, oder auf dem Schulhof. Zur Gewaltprävention gehört, dass man jene, die man für vulnerabel hält, stärkt. In ihren Rechten, in ihrem Auftreten. Sie müssen die Sicherheit haben, dass der Staat auf ihrer Seite ist, ganz selbstverständlich. So wie etwa die Möglichkeit geschaffen wurde, Vergewaltigung in der Ehe anzuzeigen. Auch hier hat man anerkannt, dass die Ehe keine Sicherheitsgarantie ist. Und anstatt den Frauen irgendwelche absurden Vorschriften zu machen, etwa sich untersuchen zu lassen, damit sie überhaupt zur Polizei gehen können, oder sich in ein eigenes Zimmer zurückzuziehen, mit Alarmknöpfen und Sprechverbindung zur Polizei, anstatt also den Ehefrauen Regeln für ihren “Schutz” aufzubrummen, hat man anerkannt, dass Gewalt hier genauso wenig normal ist wie in anderen Bereichen, sondern vielmehr normal geahndet wird. 

Wer es ehrlich mit uns und unserer Sicherheit meint, der sollte daher eintreten für:

Die Stärkung selbstbestimmter Sexarbeit und die Abschaffung von Regeln, die realitätsfern sind! Denn nur wenn eine Sexarbeiterin nicht umzingelt ist von 1000 Regeln, die kaum einzuhalten sind, nur dann kann sie Straftaten auch anzeigen, ohne sich selbst zu bezichtigen. Kleines Beispiel zur Konkretisierung: Als in den Bordellen noch Sperrstunde 22 Uhr herrschte, wussten gewaltbereite Kunden genau, dass sie nur ein bisschen die Zeit überziehen brauchen und sich nach 22 Uhr aufführen können, wie sie wollen. Die Dienstleisterinnen konnten nach 22 Uhr die Polizei nicht mehr rufen. Oder: Der Deckel gestern abgelaufen? -> Keine Anzeige mehr möglich. Einen Stammkunden in die Wohnung gelassen und er ist rabiat geworden? Nun, Sexarbeit in der eigenen Wohnung ist in AT auch verboten. Zu unserem “Schutz”. Das führt aber dazu, dass Übergriffigkeiten in Wohnungen erst recht stattfinden, eben WEIL Gewalttäter wissen, dass die Sexarbeiterinnen keine Anzeigen einbringen können, da sie in der Illegalität arbeiten. Dasselbe gilt für Escorts in den meisten Bundesländern. 

Diese Beispiele illustrieren sehr gut, wie wichtig es für Sexarbeiterinnen wäre, diesen Staat, die Polizei auf ihrer Seite zu wissen. Und dahin kommen wir nur durch Entstigmatisierung dieses Berufs. Es muss normal sein, erotische Dienstleistungen anzubieten, an selbstbestimmt gewählten Orten. Keine diskriminierenden Sondergesetze. Nur wenn eine Sexarbeiterin weiß, dass ihre Arbeit wertgeschätzt wird und sie den Schutz der staatlichen Organe in ihrem Rücken weiß, genau wie jeder andere Dienstleister auch, nur dann wäre zumindest eine Basis für mehr Sicherheit gelegt. Aber davon sind wir weit entfernt. Zumindest jetzt noch.

Ich will mal so blauäugig sein und hoffen, dass die Weigerung der Polizei, Sanktionen im Zusammenhang mit Bordellkontrollen zu verhängen, eine Wende in der völlig veralteten und uns gefährdenden Gesetzgebung einläutet. Vielleicht geht der Schuss aber auch in die ganz andere Richtung und wir werden noch stärker reguliert, bis hin zur kompletten Illegalisierung sämtlicher bordellbetreiberunabhängigen Sexarbeit, was ein Verbot von Escort bedeuten würde. In diesem Fall kündige ich gleich an, mich darüber hinwegzusetzen. Ich werde mir niemals von diesem Staat vorschreiben lassen, wen ich wo treffe. Es geht niemanden etwas an, was ich hinter verschlossenen Türen mit wem mache und was ich dafür bekomme. Diese Macht hat sich niemand anzumaßen.

Und hier zeichnet sich auch gleich ein dystopisches Szenario einer möglichen Zukunft ab: Die Illegalisierung von Escort führt nur dazu, dass eine Spaltung, eine Dichotomisierung auf der Angebotsseite stattfindet, ähnlich wie in Staaten, in denen das “nordische Modell” gilt: Jene Independent Escorts, die es sich gut richten können, werden ihre Websites im Ausland hosten. Das Angebot verknappt sich, die Preise steigen. Interessenten zahlen im Voraus an, um zu einer Buchung zu kommen, was verdeckte Ermittlungen erschwert. Genau so und nicht anders würde ich das machen. So gibt es etwa tatsächlich auch Arbeitsmigration von Deutschland nach Schweden, weil dort aufgrund der Illegalisierung viel höhere Escorthonorare zu erzielen sind. 

Für eine kleine Gruppe von Escorts werden die Geschäfte besser laufen als jemals zuvor. Für alle anderen aber wird es gefährlicher als jemals zuvor. Und ob das ein Szenario ist, was letztendlich in der Gesamtschau wünschenswert ist, wage ich zu bezweifeln. 

Aber nun gut, noch bewegen wir uns im legalen Feld. Ich hoffe von ganzem Herzen auf eine umsichtige, weitblickende und entstigmatisierende Reform des Sexarbeitsrechts in Österreich. 

So sprach eure….

INDEPENDENT ESCORT WIEN

…die unabhängige Begleitung für intelligente Menschen. ❤️ 

1 Kommentar
  1. Silberrücken
    Silberrücken sagte:

    Danke für diese Brandrede!

    Danke, dass Du einige der gängigen Grundannahmen hinsichtlich der “sicheren” Sexarbeit in Studios und Laufhäusern den Boden entziehst.
    Danke, dass Du die Strukturen und Rahmenbedingungen benennst, die Gewalt gegen Sexarbeitende fördern (und nicht verhindern)!
    Danke, dass Du hier Punkte ansprichst, die dazu beitragen können, dass Sexarbeit tatsächlich sicher, selbstbestimmt und weniger stigmatisiert als bisher ausgeübt werden kann.

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